Sibylle Lewitscharoff - Blumenberg

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Sibylle Lewitscharoff - Blumenberg

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Grande admiratrice du philosophe, Sibylle Lewitscharoff, dans ce roman qui multiplie les allusions a Lions, evoque surtout le penseur dans son cabinet de travail. On pourrait parler en l'occurrence de portrait moral d'un saint moderne qui, tel saint Jerome (la comparaison est explicite), a voue son existence a l'etude dans la solitude de sa retraite. Dans le roman, la metaphore devient realite, le lion de la legende de Jerome se concretise dans son bureau, devient donc present mais tout en restant, comme la realite, impossible a atteindre. Les 5 chapitres intitules Le lion (numerotes de I a V) constituent, avec les chapitres Coca-cola et Egypte, une biographie intellectuelle de Blumenberg et un bel hommage a un maitre venere. Parallelement a ce portrait, dans des chapitres qui en sont presque independants, l'auteur a voulu construire une sorte de conte philosophique et moral, a propos du rapport d'un individu avec un maitre (illustre par 5 exemples). Dans la petite ville de Munster, dans les annees 80, quatre etudiants suivent les cours brillants — decisifs pour le destin de chacun d'eux — du celebre philosophe. Le premier (et le seul des quatre a avoir un bref entretien avec le professeur), Gerhard (chap. Optatus, Dimanche, L'ange annonce et Heilbronn), studieux et brillant, deviendra lui-meme professeur de philosophie. Sa petite amie, Isa, inquiete et passablement exaltee, est tourmentee en secret par une passion morbide pour le maitre, ce qui la conduira au suicide (chap. Optatus, Dimanche et N 255431800). Leur ami, Richard, reve du maitre comme d'un sauveur et, decu, va poursuivre en Amazonie son reve infantile de salut (un recit d'une sombre beaute, en 3 chapitres consecutifs, Richard, etc.). Hansi, quant a lui, transforme en delire l'enseignement du maitre et s'enfonce lentement dans la folie (chap. Hansi et Addenda). Un cinquieme personnage au caractere bien trempe, la religieuse Mehliss (chap. Souci universel), reconnait aussi la superiorite de Blumenberg, mais intuitivement (elle est la seule a voir le lion), sans rien savoir du philosophe. Tout le roman tient dans le recit de l'existence de ces differents personnages (aux destins contrastes mais independants, obeissant uniquement a une logique interne a chaque personnage) depuis le jour de leur rencontre avec le philosophe jusqu'a leur mort… et meme encore plus loin, dans un au-dela explicitement inspire de Beckett ou le dernier chapitre les reunit tous, en compagnie de Blumenberg. Ne en avril 1954, Sibylle Lewitscharoff est l'auteur d'une oeuvre riche et reconnue en Allemagne. Ce titre, pour lequel il lui a ete decerne plusieurs prix est le son premier ouvrage a etre traduit en francais.

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Sibylle Lewitscharoff

Blumenberg

Für Bettina Blumenberg

Der Löwe I

Blumenberg hatte gerade eine neue Kassette zur Hand genommen, um sie in das Aufnahmegerät zu stecken, da blickte er von seinem Schreibtisch auf und sah ihn. Groß, gelb, atmend; unzweifelhaft ein Löwe. Der Löwe sah zu ihm her, ruhig sah er zu ihm her aus dem Liegen, denn der Löwe lag auf dem Bucharateppich, in geringem Abstand zur Wand.

Es mußte ein älterer Löwe sein, vielleicht nicht mehr ganz bei Kräften, aber mit der einzigartigen Kraft begabt, da zu sein. Das erkannte Blumenberg zumindest auf den zweiten Blick, während er noch um Beherrschung rang. Nur nicht die Fassung verlieren, gerade in diesem Falle nicht, sagte sich Blumenberg, vielleicht geriet der Satz weniger korrekt, obwohl Blumenberg auch beim Finden von Sätzen im Kopf eine eiserne Disziplin zu wahren pflegte, weil er sich daran gewöhnt hatte, geordnet und nicht etwa überstürzt sich Sätze zurechtzulegen, und zwar fast so geordnet, wie er gemeinhin sprach, ob er nun ein empfangsbereites Aufnahmegerät vor sich hatte oder die Ohren eines Kindes.

Blumenberg wußte sofort, daß hier viel falsch zu machen war und nur eines richtig: abwarten und die Fassung behalten. Er wußte auch, daß in Gestalt des Löwen eine außerordentliche Ehre ihm widerfuhr, gleichsam eine Ehrenmitteilung der hohen Art war überbracht worden, von langer Hand vorbereitet und nach eingehender Prüfung ihm gewährt. Man traute Blumenberg offenbar zu, daß er in seinem schon etwas höheren Alter leichterdings damit fertig würde.

Kurios war nur, daß vom Löwen gar nichts Undeutliches, Verschwebtes, Löwen- und Luftatomvermischtes ausging; seine Umrisse zitterten nicht im Her und Hin der wellendurchlaufenen Gedanken Blumenbergs; es blitzten keine löwenköpfigen Spiegelneuronen und bewimmelten das kristalline Geflirr einer Halluzination. Der Löwe war da. Habhaft, fellhaft, gelb.

Obwohl er sich selbst ermahnte, ein unerschütterliches Vorbild der Ruhe abzugeben, raste sein Herz. Ein Löwe! Ein Löwe! Ein Löwe!

Natürlich hatte er keine Angst vor ihm. Wie ein entsprungener Zirkuslöwe sah er nicht aus. Zum einen deckte Blumenberg der große schwere Schreibtisch, hinter dem er saß, zum anderen lag dieser Löwe vollkommen ruhig da und gebärdete sich keinesfalls wie ein beunruhigtes entlaufenes Tier oder gar wie ein nervöser Christenfresser. Blumenberg bekam Lust zu sagen: Ich bin katholisch, du kannst mich ruhig fressen, aber er behielt diese Frivolität lieber für sich und sah nun seinerseits mit einer Miene, die abwartende Höflichkeit signalisieren sollte, aber doch ein wenig zu neugierig geriet, auf den Löwen. Vielleicht wirkte es auf den Löwen aufstachelnd, wie er ihn ansah, dachte Blumenberg, denn er wußte um seinen brennenden Blick.

Die bierfarbenen Augen des Löwen musterten ihn unverwandt in versammelter Löwenruhe, das heißt, sie musterten ihn nicht wirklich, sie sahen eher durch Blumenberg hindurch auf etwas, was hinter ihm, vielleicht hinter der Bücherwand, vielleicht hinter der Mauer des Hauses, vielleicht hinter Altenberge und der Stadt Münster im Jahre 1982 in weiter Zeitenferne lag.

Sein Herz klopfte noch immer wie ein außer Kontrolle geratenes Apparätchen.

Mit einem Löwen zu konversieren, das hatte Blumenberg nicht geübt. Bisher hatte es ja keine Gelegenheit gegeben, solches zu tun. Mit seinem geliebten Axel zu sprechen, dem weißhaarigen Collie, war Blumenberg immer leichtgefallen. Axel war ihm auf Schritt und Tritt überall hin gefolgt, ihm in sein fülliges langes Brustfell zu fahren und ihm den Hals zu kraulen war für Blumenberg ein Vergnügen gewesen, während dessen er ganz ungezwungen, fast wie ein kindischer Liebhaber, wie narrisch mit dem Hund gesprochen hatte, wenn auch — gemessen an anderen Hundeliebhabern — bemerkenswert korrekt.

Blumenberg zweifelte, ob mit dem Löwen eine Konversation überhaupt möglich sein würde. Es ging ja nicht hin, daß er nun aufstand, um dem Löwen in die Mähne zu fahren und diese tüchtig zu walken. Der Löwe schien einer zärtlichen Handlung in keiner Weise bedürftig. Obwohl er keine Angst verspürte, war Blumenbergs Respekt vor dem Tier groß.

Der Löwe ist zu mir gekommen, weil ich der letzte Philosoph bin, der ihn zu würdigen versteht, dachte Blumenberg. Bei diesem Gedanken überkam ihn ein flaues Gefühl, er mußte für einen Moment die Augen schließen vor so viel Größe, die ihm von lässiger Hand auf den Teppich gelegt worden war, eine Herausforderung der Nacht, spät, um Viertel nach drei, wie ein Blick auf die Uhr ihm bewies, als er die Augen wieder öffnete.

Weder ein Ruch noch ein Ungeruch ging von dem Löwen aus, der Löwe roch dezent nach Löwe, für jemandes Nase, der Löwen liebte und nach einem Zoobesuch den Löwengeruch zurückzurufen sich mühte, vielleicht gerade noch spürbar. Blumenberg konnte zwar mit Fug von sich behaupten, ein Liebhaber der Löwen zu sein, aber der Löwengeruch hatte ihn bisher nicht gekümmert. Die verwegene und doch nurmehr wie obenhin verschwebende geruchliche Schärfe, die seine Klause zu füllen begann und die in einem Atemzug hereinwehte und beim nächsten sich wieder verlor, erregte Blumenbergs Sinne.

Gedanken bestürmten ihn mit Macht, in nie gekannter Plastizität; es war, als wären alle Laden seines Panzerschranks aufgefahren und die darin verwahrten sechsunddreißigtausendsechshundertsechzig maschinenbeschriebenen Karteikarten flögen daraus wie sprühend hervor, aber nicht in ihrer kartonierten Form, sondern als von den Buchstaben und Vermerken abgelöste und in seinen Kopf hineindrängende Bildhäutchen.

Ruhe bitte. Besonnenheit. An den Nerv eines Bildes, an den Nerv eines Problems kommt man nur heran, wenn man das einzelne Bild, das einzelne Problem geruhsam sich vorlegt und prüft. Wer war der Löwe? Infolge der Abwehr, die er gegen die Bilderflut sich aufzubauen mühte, verspürte Blumenberg eine leichte Überreiztheit.

Agaues falscher Löwe. Die Fabel vom Hoftag des Löwen. Der Löwe des Psalmisten, brüllend. Der aus dem Lande Kanaan für immer verschwundene Löwe. Das Symboltier des Evangelisten Markus. Maria Aegyptiaca und ihr Begleitlöwe. Das fromme Tier des Hieronymus im Gehäus. Wer war der Löwe?

Sein Gedächtnis sollte die Bibel im Schnellauf durchforsten, da doch der Löwe darin seine aufgepflanzten und wieder abgebrochenen Merkzeichen hat; den Befehl dazu gab sich Blumenberg. Aber er mußte sich eingestehen, daß sein Gedächtnis, das normalerweise tadellos funktionierte, besser als bei jedem ihm bekannten Menschen, ausgerechnet jetzt zu einer gründlichen Sichtung des Löwenproblems nicht in der Lage war.

Obwohl erst wenige Augenblicke seit dem Auftauchen des Tieres verstrichen waren, hatte Blumenberg schon Vertrauen zu dem Löwen gefaßt; dabei war noch gar nicht abzusehen, was sich für eine Beziehung zwischen ihnen entwickeln würde, ob von Dauer oder nicht. Erstaunlich, daß ich schon die Hoffnung in mir keimen sehe, unsere Beziehung könnte währen, dachte Blumenberg. Für einen Moment bildete er sich ein, der Löwe, dessen Maul ein wenig nur geöffnet war, lächle.

Sein Alter? Der Löwe war alt, uralt sogar, bestimmt älter, als ein Löwe in der freien Wildbahn je wurde. Blumenberg stellte es mit Bedauern fest. Die Mähne des Tieres, in jungen und mittleren Jahren mochte sie stattlich gewesen sein, jetzt wirkte sie zerrupft. Das Rückgrat trat hervor und sackte ein wenig durch, lange dunkle Tränenrinnen führten von den Augen des Löwen seitlich nach unten; allein, wie er atmete und dabei jedesmal sein Bauch sich verzog, als befiele ihn ein kleiner Krampf, war besorgniserregend.

Der Löwe wird doch nicht gekommen sein, um auf meinem Teppich zu verenden? dachte Blumenberg bestürzt. Höhererseits wollte man ihn foppen und hatte ihm deshalb diesen Rohrkrepierer von einem Löwen geschickt. Rasch, wie er aufgezuckt war, verschwand der Gedanke wieder. Nein, Blumenberg empfand Sympathie für den Löwen, und als er sich dies eingestand, vertraute er sogleich auf die erkenntnisfördernde Kraft der Sympathie. Urplötzlich fühlte er sich in eine anheimelnde Selbstwärme gehüllt, ein Gefühl, das von Selbstüberhebung nur geringfügig sich unterschied. Er war der exemplarische Asket, der seinen Löwen verdient hatte. Nacht für Nacht für Nacht gearbeitet, sagte sich Blumenberg voller Stolz, und der Dank, der ihm jetzt blühte, war der Löwe.

Wie Maria Aegyptiaca sich zu fühlen war ihm unmöglich. Es fehlte die Wüste, es fehlten die Ausschweifungen und Gelage, denen sich diese sehr spezielle Maria früher hingegeben hatte, und natürlich die Umkehr. Blumenberg hatte sich solchen Leibextremismen nie hingegeben, er hatte nicht umkehren müssen, und er war keine Frau. Auch war ihm die Vorstellung unsympathisch, mit ausgedörrten Gebeinen in der Wüste zu liegen, über sich einen Löwen als Grabwächter.

Agaue? Unsinn! Den eigenen Sohn als Löwen mißkennen und ihn zerreißen im bacchantischen Wahn, zu so etwas konnte sich nur eine im wilden Griechenland aufgekommene Frau hinreißen lassen, präziser: die Zuspitzung der Frau: die antike Mutter.

Obwohl der Löwe da vor ihm keineswegs träumte und sein breitnasiges Haupt zweifellos echt war und nicht etwa heimlich der Kopf einer Katze (auch schaute dieser Löwe immer weiter durch ihn hindurch), so bemächtigte sich des Philosophen doch allmählich ein friedliches Gehäusgefühl. Er rief sich den berühmten Kupferstich von Dürer ins Gedächtnis. Zwar fehlte in seiner, Blumenbergs, Klause das Stundenglas, durch das der Sand rann, es fehlte das Pult, es fehlten die Butzenscheiben und der Totenschädel auf dem Fensterbrett, und anstelle der Täfelung aus warmem Holz gab es bis an die Decke reichende Bücherregale und Teppiche, aber eine Klause in stupender Abgeschiedenheit von den übrigen Teilen des Hauses war es doch. Außerdem herrschte Nacht. Die Stunden der radikalen Abkehr vom weltlichen Getriebe, in denen sich höchstens einige Schlaflose herumwälzten und nur sehr wenige Menschen ihre Dienste versahen.

Trotzdem kamen Blumenberg Zweifel. Wenn er jetzt ganz fest die Augen schloß und auf sechzig zählte — er hatte sich angewöhnt, solches Abzählen durch ein winziges Aufzucken der Finger zu bewerkstelligen — und dann die Augen wieder öffnete, war der Löwe womöglich verschwunden. Ein Trugbild, weiter nichts.

Blumenberg schloß tatsächlich die Augen, zählte aber in der Verwirrung nicht bis sechzig, sondern versehentlich nur bis achtundfünfzig, wobei es ihn hart ankam, die Augen so lange zuzupressen.

Augen auf. Der Löwe war da.

Blumenberg bekam Lust, seinen Platz hinter dem Schreibtisch einmal zu verlassen. Draußen leuchtete der Mond. Vor den langgestreckten Fenstern zeigten sich die schwarzen Gerippe der Rosenstöcke. Vielleicht sollte er einen Fensterflügel öffnen und auf diese Weise mit allem ins Freie kommen.

Ob trotz augenscheinlicher Gutartigkeit der Löwe ihm etwas antun könnte, ob es gefährlich war, ihm den Rücken zuzudrehen? überlegte Blumenberg, als er fast in Zeitlupe vom Stuhl sich erhob, seinen Schreibtisch halb umrundete und langsam, viel langsamer als gewöhnlich, zum Fenster ging.

Gefährlich? Nein, wohl nicht. Einige Sekunden stand Blumenberg am Fenster und sog die kühle Nachtluft ein, allerdings mit angespanntem Rücken. Als er sich wieder herumdrehte, war der Löwe immer noch da.

Zeit, eine Flasche Bordeaux zu öffnen. Das Ereignis mußte gefeiert, auf das Erscheinen des Löwen Wein getrunken werden. Mit dem gefüllten Glas blieb Blumenberg allein, in seinem Arbeitszimmer hätte er vergeblich nach einem Gastglas gesucht. So hauspossierlich war der Löwe nun wieder nicht, daß er ein Glas in der Pfote hätte halten können, um es auf Blumenbergs Wohl zu lüpfen.

Der Löwe, der, wie ihm schien, den Kopf inzwischen ein klein wenig gesenkter hielt, aber immer noch ungerührt durch ihn hindurchblickte, belegte sechzehn, siebzehn, oder waren es neunzehn? Elefantentapfen auf dem Bucharateppich, der als eines der wenigen Besitzstücke aus dem Erbe des Vaters auf ihn gekommen war. Indem sich der Löwe diese wärmende Unterlage für sein Liegen ausgesucht hatte, betrug er sich wie ein Haushund. Er hat Sinn für Symmetrie, dachte Blumenberg, weil sich der Löwe ziemlich exakt in die Mitte gelegt hatte, obendrein scheint er Sinn für Ästhetik zu besitzen. Der Teppich war das kostbarste Objekt in Blumenbergs Arbeitszimmer, mit hellen Tapfen inmitten von Weinrot und blaugrünschwarzen Farbabstufungen — wirklich ein exquisites Stück.

Obwohl es an seinem Arbeitszimmer nichts auszusetzen gab, bedauerte sich Blumenberg, daß er keinen so glorreichen Raum zur Verfügung hatte, wie ihn Antonello da Messina gemalt hatte. Das Bild, vom italienischen Meister starkschattig nach Art der Niederländer angelegt, führte Blumenbergs Gedächtnis, das jetzt wieder tadellos funktionierte, mit fabelhafter Präzision heran: der Blick fällt durch eine steinerne Öffnung, auf der Brüstung ein Pfau, eine Kupferschüssel, eine Wachtel. Im prächtigen Innenraum ein Treppchen, eine, zwei, drei Dreifaltigkeitsstufen empor auf eine Bühne. Der heilige Gelehrte im fließenden roten Samtgewand und roter Samtmütze, mit langen Armen in einem Buch blätternd, das auf einer Art Sitzpult mit abgeschrägter Fläche vor ihm aufgeschlagen liegt. Links ein zauberischer Fensterausblick. Eine Hügellandschaft mit vereinzelten Zypressen. Und rechts, hinter der Bühne des Gelehrten, aus dem Dunkel auftauchend, ein spilleriger Löwe. Nein, nicht mit Löwenbeinen und breiten Tatzen, sondern mit dünnen Rennbeinchen versehen wie ein Windhund. Wahrscheinlich hatte Antonello nie einen Löwen zu Gesicht bekommen.

Blumenberg liebte das Bild. Diese würdigen, einsamen Figuren, die mit wenigen Büchern auskamen, weil sie offenbar die immerselben, allen voran natürlich die Bibel, wieder und wieder studierten; ihre opulent ausstaffierten Zimmer mit den Schmuckblicken in ein wohlgeordnetes Draußen, die Einsamkeit ins glorios Behagliche rückend! Das bühnenhafte Arrangement, die Erhöhung der Schauseite, diente dazu, den Gelehrten vom Fliesenboden, diesem kunstvoll verwirtschafteten Boden, zu lösen, als sei er von der Schwerkraft minder abhängig, als sei sein Boden nicht gemeiner Lebensboden, sondern Geistboden, über dem sich die Gedanken weit und weiter emporrafften. Sollte in seinem roten Gewand die Herzenserhebung des gelehrten Eremiten angezeigt worden sein? Nicht mitgemalt war natürlich der Durchzug, der zwischen der großen Öffnung vorne und den Fensterhöhlungen hinten im Mittagsglast hätte herrschen und die herumliegenden Papiere ins Segeln und Trudeln bringen müssen. Den lustigen Löwen stellte sich Blumenberg für einen Moment als Papierjäger, Papierschnapper vor, brach die Sätze, die sich in ihm dazu formen wollten, aber gleich wieder ab, weil er sich nicht im Albernen verlieren wollte.

Zurück zum eigenen Löwen. Trotz dessen denkwürdigen Erscheinens, das sich vor einer halben Stunde erst zugetragen hatte, hielt Blumenberg es für angezeigt, auf keinen Fall, nicht einmal in diesem Extremfall, da ihm das Herz noch immer bis zum Halse schlug, auf seine Gewohnheiten zu verzichten. Immerhin hatte ihn der Löwe so durcheinandergebracht, daß er seiner Sekretärin nicht das übliche Quantum hatte diktieren können; das genügte als Abweichung von der Regel. Er packte die eine vollgesprochene Kassette in einen Umschlag, ließ sich — Löwe hin, Löwe her — nicht darin beirren, gut lesbar, wenn auch ein klein wenig zittrig, die Adresse der Universität darauf zu schreiben, ihn mit einer Marke zu versehen, griff nach seinem Mantel und ging, mit einem verhaftenden Blick auf das Tier, als wolle er es auf dem Teppich festnageln, zur Gartentür hinaus.

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