Sibylle Lewitscharoff - Blumenberg Страница 18

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Sibylle Lewitscharoff - Blumenberg

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Grande admiratrice du philosophe, Sibylle Lewitscharoff, dans ce roman qui multiplie les allusions a Lions, evoque surtout le penseur dans son cabinet de travail. On pourrait parler en l'occurrence de portrait moral d'un saint moderne qui, tel saint Jerome (la comparaison est explicite), a voue son existence a l'etude dans la solitude de sa retraite. Dans le roman, la metaphore devient realite, le lion de la legende de Jerome se concretise dans son bureau, devient donc present mais tout en restant, comme la realite, impossible a atteindre. Les 5 chapitres intitules Le lion (numerotes de I a V) constituent, avec les chapitres Coca-cola et Egypte, une biographie intellectuelle de Blumenberg et un bel hommage a un maitre venere. Parallelement a ce portrait, dans des chapitres qui en sont presque independants, l'auteur a voulu construire une sorte de conte philosophique et moral, a propos du rapport d'un individu avec un maitre (illustre par 5 exemples). Dans la petite ville de Munster, dans les annees 80, quatre etudiants suivent les cours brillants — decisifs pour le destin de chacun d'eux — du celebre philosophe. Le premier (et le seul des quatre a avoir un bref entretien avec le professeur), Gerhard (chap. Optatus, Dimanche, L'ange annonce et Heilbronn), studieux et brillant, deviendra lui-meme professeur de philosophie. Sa petite amie, Isa, inquiete et passablement exaltee, est tourmentee en secret par une passion morbide pour le maitre, ce qui la conduira au suicide (chap. Optatus, Dimanche et N 255431800). Leur ami, Richard, reve du maitre comme d'un sauveur et, decu, va poursuivre en Amazonie son reve infantile de salut (un recit d'une sombre beaute, en 3 chapitres consecutifs, Richard, etc.). Hansi, quant a lui, transforme en delire l'enseignement du maitre et s'enfonce lentement dans la folie (chap. Hansi et Addenda). Un cinquieme personnage au caractere bien trempe, la religieuse Mehliss (chap. Souci universel), reconnait aussi la superiorite de Blumenberg, mais intuitivement (elle est la seule a voir le lion), sans rien savoir du philosophe. Tout le roman tient dans le recit de l'existence de ces differents personnages (aux destins contrastes mais independants, obeissant uniquement a une logique interne a chaque personnage) depuis le jour de leur rencontre avec le philosophe jusqu'a leur mort… et meme encore plus loin, dans un au-dela explicitement inspire de Beckett ou le dernier chapitre les reunit tous, en compagnie de Blumenberg. Ne en avril 1954, Sibylle Lewitscharoff est l'auteur d'une oeuvre riche et reconnue en Allemagne. Ce titre, pour lequel il lui a ete decerne plusieurs prix est le son premier ouvrage a etre traduit en francais.

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Richard tat gar nichts, er lag einfach nur da, selbst dem Lesen, das sonst immer sein Tröster gewesen war, fühlte er sich nicht mehr gewachsen; Sein und Zeit schlummerte in der Tiefe seiner Tasche. Morgens erwachte er mit einem großen Plan, den der gleichgültige Strom in ein schwimmendes Ungefähr trug und in tausend glitzernde Tröpfchen zerlöste, was kein Schade war, denn Richard wachte am nächsten Morgen mit einem ebenso herrlichen anderen Plan wieder auf.

Nächtliche Begegnung

Eines Abends in der Dämmerung steuerte der Frachter das Ufer an, obwohl von weitem keine Siedlung zu erkennen war. Doch siehe da, es gab einen Landungssteg. Der Froschlärm war gerade mit den letzten Strahlen der Sonne erloschen, von den Bäumen, von denen einige tief ins Wasser hineinragten, flogen Vögel auf. Jetzt erkannte Richard, daß es sich doch um eine kleine Siedlung handelte, nicht aus festen Häusern, sondern aus Hütten und Blockhäusern zusammengewürfelt, die meisten von ihnen standen auf Pfählen. Der Kapitän bedeutete ihm, daß sie hier übernachten müßten, warum, sagte er nicht, aber es sei für alles gesorgt, Richard könne in einer der Hütten unterkommen.

Es war eine Siedlung von Holzfällern. Halbnackte Träger kletterten über ein dünnes Brett an Deck und luden sich Säcke auf die Schultern, mit denen sie in einer geordneten Marschkolonne, von deren schweren Tritten das Brett sich bedrohlich bog, den Rückweg antraten. In der Siedlung brannten schon einige Karbidlampen. Es gab Weiße und Indianer, indianische Frauen kochten an offenen Feuerstellen. Richard wurde vom Kapitän in eine kleine Hütte gewiesen, die ebenfalls auf Pfählen stand. Ein, was die Reinheit der Fingernägel anlangte, nicht ganz vertrauenswürdiges junges Mädchen servierte ihm das Essen in einem Blechteller, Bohnen mit ein bißchen Fleisch, dazu reichte sie ihm mit einem schüchternen Lächeln etwas Wasser und einen schwarzen Kaffee in einem Blechbecher. Das Lächeln schwebte noch lange in der Hütte, nachdem sich das Mädchen längst wieder zurückgezogen hatte, und Richard ertappte sich dabei, daß er wieder und wieder zurücklächelte, allerdings nur für die hölzerne Wand, an der Bilder mit Badeschönheiten aus einer Illustrierten hingen.

Er entschloß sich zu einem Abendspaziergang, der ihn auf eine Zigarettenlänge um die Siedlung führte; allzu viel war dabei nicht zu erkennen, da es schon dunkel war und die wenigen Lampen nur die Eingänge der Hütten beleuchteten. Letzte Wasservögel, die auf ihre Schlafnester zusteuerten, durchzogen als schwarze Klumpen das ufernahe Gewässer. Als er wieder vor seiner Hütte landete, hörte er es oben rumoren. Eine schwärzliche Affengestalt saß auf dem Dach und ruderte mit den langen Armen, worin Richard eine Einladung erblickte, er solle doch bitte zu ihr aufs Dach klettern. Von hinten zupfte etwas an seinen Hosenbeinen; als er sich umwandte, erschrak er nicht wenig, da er einen Ameisenbären vor sich hatte, der an ihm emporstieg, indem er die Vorderkrallen in Richards Hose hängte und mit der langen Schnauze Taschen, Falten und Höhlungen seiner Kleider absuchte. Daß der Bär freundlich gesonnen war, merkte Richard schnell, trotzdem blieb es unheimlich, von einem ihm bisher gänzlich unbekannten Tier einer Leibesvisitation unterzogen zu werden. Abrupt wandte sich der Bär von ihm ab und trollte sich in die Nacht. Auch der Affe war verschwunden. Ein verwunderter Richard drückte die Zigarette mit der Schuhspitze in den Sand und erstieg das Treppchen zu seiner Hütte.

Er schätzte sich glücklich, weil darin eine Hängematte aufgehängt war und er nicht auf ebener Erde schlafen mußte. An einem Deckenhaken war ein Moskitonetz befestigt, das sich wie ein Zelt um die Matte breiten ließ. Er löschte das Licht und legte sich hin. Nicht mehr daran gewöhnt, in einem Gehäus zu liegen, konnte er ewig nicht einschlafen; er vermißte die Bewegung des Schiffes, vermißte das Brummen des Motors und den Fahrtwind.

Etwas wischte unter ihm durch, es mußte unter dem Boden der Hütte sein, zwischen den Pfählen. Richard horchte mit gespitzten Ohren — da: das Wischen wiederholte sich. Ein Tier streifte umher und bog im Streifen die Zweige, dazu tönten merkwürdige Rufe aus der Ferne, die er nicht zuordnen konnte. In unregelmäßigen Abständen war das Wischen zu hören. Um sich zu beruhigen, mußte Richard dem Tier, das sich den Hüttenuntergrund als Platz erkoren hatte, von dem aus es in die Nacht streunte und zu dem es immer wieder zurückkehrte, einen Namen und eine Gestalt geben. Er verfiel auf den sprechenden Panther seiner Kindheit, der zwar im Moment schweigend herumschlich, weil ihm die Meder, Elamiter und Kyrener fehlten, aber vielleicht konnte Richard, wenn er sich aus seiner Matte beugte und durch die Bodenritzen das Wort an den hingekauerten Panther richtete, eine kleine Konversation mit ihm anknüpfen?

Weit, weit entfernt, aus seltsamer Tiefe gehoben und doch nah, hörte er einen Ton, der ihm durch Mark und Bein ging. Dunkel, wie aus einem Horn geblasen, mal schwächer, mal stärker, eine Drohung, die aus der Nacht auf ihn zurückte, beim Heranrücken vielleicht durch dicke Baumstämme gebremst wurde, die den Schall ein wenig von seiner Hütte ablenkten, um dann mit unverminderter Macht wieder direkt darauf zuzuhalten. Richard lag da wie gesteift. Etwas unvorstellbar Grauenhaftes, für das er keinen Namen wußte, kam ihn holen. Schweiß brach ihm aus allen Poren, er fühlte, wie seine Hände zitterten. Mit weit aufgerissenen Augen lag er allein im Dunkel der Nacht, unfähig, aufzustehen und die Lampe anzuzünden. Jäh fiel ihm ein Traum seiner Kindheit ein, aus dem er jedesmal schreiend erwacht war — in ein friedliches Gebirgsdorf mit Holzhäusern, auf deren Dächern der Schnee lag, kam ein Hirte mit einer Herde Mammuts gezogen, riesigen Tieren, ein jedes größer als die Häuser, an denen sie auf ihrem Pfad vorbeischritten. Der Hirte war winzig neben ihnen und seine zwei Hütehunde auch. Da stürzte das kleinste Mammut, das am Ende der Reihe gegangen war, und blieb liegen im Schnee. Der Hirte fluchte und stieß ihm die Stiefel in den Bauch, aber davon war es nicht hochzukriegen. Er befahl den Hunden, anzugreifen, und sie bissen überall in sein Fell, doch blieben die Bisse wirkungslos, weil die Hunde so klein waren. Da packte den Hirten die Wut, wie aus dem Nichts holte er eine Peitsche hervor und hieb damit so erbarmungslos auf einen der Hunde ein, daß er ihm das Rückgrat brach. Das gellende Geschrei des Hundes füllte das Tal, füllte die Ohren des kleinen Richard, daß er laut schreiend erwachte.

Obwohl etwas in ihm wußte, daß die Szene aus der Erinnerung aufgetaucht war, gewann sie solche Macht über ihn, als hätte er sie gerade von neuem geträumt — mit einem Unterschied: das größte der Mammuts, ein riesiges braunzottiges Tier, wandte den Kopf zu ihm her und sah ihn aus kleinen Augen an, dann hob es den Kopf mit den langen gebogenen Stoßzähnen in die Höhe, und der schreckliche Ton, wie von einem Horn geblasen, schallte durch das Tal.

Da unten mußte noch immer der Panther liegen. Richard klammerte sich an den Gedanken, daß in dem sprachmächtigen Tier die Rettung aufgehoben sei, darum beugte sich sein traumverhangener Kopf aus der Matte und suchte Kontakt.

Zunächst tat sich nichts, selbst das Wischen blieb aus. Als aber Richard zum zweiten Mal flehentlich zu dem Panther hinunterflüsterte, drang eine dunkle, wiewohl klar zu verstehende Stimme zu ihm herauf, die sagte: Ich höre.

Zwei, drei Sekunden hielt Richard den Atem an, dann erfüllte ein Brausen seinen Kopf, und die Worte brachen nur so aus ihm heraus. Alles, was ihn je bedrängt hatte, alles, was er je hatte wissen wollen, wozu da, woher gekommen, wohin bestimmt zu gehen, wieso leiden, schuldhaft, schuldlos, gestraft, ungestraft oder erlöst, von wem, weshalb, wofür; alles, alles, alles brach sich Bahn, und von unten drang Gelächter herauf, das sich ein wenig raunzig anhörte, aber einmal in Fahrt, war Richard nicht mehr zu bremsen und vertraute der Bodenritze den ganzen Salat seiner Kümmernisse und Fragen an, und siehe da, im Laufe der Nacht, die eine kleine Ewigkeit währte, wurden die Dinge sortiert, Naturgeschichte, Menschengeschichte, Theodizee, es wurde habhaft gefragt und wie mit Reißzähnen präzis geantwortet, wobei die Konversation mit den verschlungenen Worten des Panthers endete, der Dschungel sei bald kein Dschungel mehr, Richard werde ja sehen.

Als das Gespräch erlahmt war, lehnte sich Richard in seine Matte zurück, doch bevor der Schlaf ihn weitertrug, gaukelte noch eine Szene in seinem Kopf herum, die ihn nach Münster in die Flure der Universität führte, wo Richard die Tür zu Blumenbergs Sprechzimmer aufstieß. Ohne lang zu fackeln, setzte er sich dem Professor gegenüber an dessen Schreibtisch und legte los. Die Augen des Professors wurden groß und größer, Erstaunen malte sich in ihnen, und mit diesem herrlichen Bild im Kopf schlief Richard, als der Morgen dämmerte, wieder ein, schlief wohlig und tief, wie er nie zuvor geschlafen hatte.

Die Tagesgeschäfte waren längst im Gang, als er erwachte. Zum Frühstück gab es den vertrauten gebutterten Maniokbrei, der ihm diesmal von einer weißhaarigen Frau gebracht wurde, deren Mund eine einzige Runzel war. Der Frachter sollte erst gegen Mittag abfahren, so hatte Richard noch Zeit für einen Spaziergang. Er folgte einem breiten Weg, der aus der Siedlung herausführte, und war erst fünf Minuten gegangen, da eröffnete sich vor ihm ein freies Feld, groß, riesengroß sogar und ziemlich quadratisch, eine kahle Fläche, die in den Wald hineingefräst worden war. Auf der Fläche regten sich keine jungen Triebe, da war nichts außer Sand und kümmerlichem Gras. Der Anblick war bestürzend. Alle Kräfte, die er während der Nacht gesammelt hatte, wurden ihm weggenommen. Richard machte kehrt und hatte nur noch den einen Wunsch: zurück in die Hängematte und weiterfahren!

Manaus

Sobald er wieder dort lag, wo er hingewollt hatte, hellte sich sein Gemüt auf. Im lauen Fahrtwind dahintreibend, fiel es ihm leicht, sich in das nächtliche Abenteuer zurückzuversetzen, kostbar, immer kostbarer kam es ihm vor, weil inzwischen die Angst fehlte, die es ursprünglich begleitet hatte.

Zu seiner flirrenden Stimmung trug ein Mädchen bei. Höchstens vierzehn Jahre war es alt und so schön, daß Richard manchmal die Augen schließen mußte, weil er nicht glauben konnte, daß es einen so schönen Menschen überhaupt gab. Sie waren miteinander bekannt geworden, als sich das Mädchen an den Bug gestellt hatte, um ins aufgewühlte Wasser zu sehen. Es hatte nicht lang gedauert, da sprach sie ihn an, er selbst hätte sich das niemals getraut. Mit einer natürlichen Bewegung, gegen die es nicht den kleinsten Einwand gab, zog sie einen herrenlosen Schemel heran und setzte sich neben seine Matte. Richard richtete sich etwas auf, er kam sich plötzlich wie in einem Krankenbett vor, mit einer Krankenschwester neben sich, die ihn aufmerksam betrachtete.

Es begann alles so leicht. Richard mußte gar nichts tun. María kam mehrmals am Tag, manchmal auch nach Einbruch der Dunkelheit, und leistete ihm Gesellschaft. Offenbar reiste sie ohne Begleitung. Noch nie war ihm ein Wesen begegnet, mit dem er sich auf so heitere und mühelose Weise verstand. All die Zahnrädchen, die sich sonst bei ihm in Bewegung setzten, wenn er einer anziehenden Frau begegnete, blieben still, er trug kein Verlangen danach, aufzutrumpfen oder eine seiner üblichen Komödien aufzuführen, er wartete einfach, bis sie kam, freute sich, wenn sie kam, und fühlte sich von jeder Begegnung beglückt, als hätte ihn eine schmale Göttin aufgesucht, um Tautropfen auf seine Stirn zu träufeln.

Natürlich, sie war noch sehr, sehr jung. Aber hatte nicht Novalis ein blutjunges Mädchen begehrt, und war nicht der bucklige Lichtenberg mit einem Mädchen glücklich geworden, das um Jahrzehnte jünger war als er selbst? Zwischen ihnen war der Altersabstand gar nicht so groß. Höchstens elf, zwölf Jahre, vielleicht dreizehn. Auch war der Abstand erheblich kleiner als der zwischen Humbert Humbert und Lolita. Der Vorteil seiner Lolita bestand außerdem darin, daß sie kein zickiges, verkitschtes Mittelklassegirl aus dem amerikanischen Norden war; umgekehrt hatte er sich keiner der unsauberen Strategien Humbert Humberts bedient, um sich an sie heranzupirschen. Er konnte keinerlei Schande in ihrem keimenden Verhältnis erblicken, er unternahm nichts, gar nichts, um María anzufassen. Mehrere Male schon hatte sie ihn zum Abschied auf die Stirn geküßt.

Sie war Brasilianerin und fand Vergnügen daran, ihm Worte in ihrer weichen Sprache beizubringen, die Richard wie ein braver Schüler geduldig wiederholte. Die Anmut, wie sie den Worten mit Blicken aus großen ernsten Augen Nachdruck verlieh und mit eifrigen Fingerchen deren Bedeutung untermalte, war einfach hinreißend. O ja, er war verliebt — auf eine chimärische Weise, die nichts, rein gar nichts von ihm verlangte, da eine vollendete Passivität ihn in seiner Hängematte hielt.

Und doch entwickelten sich in ihm allmählich Pläne; er konnte sich nicht enthalten, Wege und Möglichkeiten gedanklich hin- und herzuwälzen, die es ihm erlaubten, María nach Europa mitzunehmen. Es war schwer, ein Glück zu genießen im Wissen darum, daß es bald zu Ende gehen würde. Sie gehörte schon wie selbstverständlich zu ihm, unmöglich, sie nie wiederzusehen, wobei ihm schmerzlich zu Bewußtsein kam, daß er die nächsten Jahre nicht in einer Hängematte würde verbringen können und wahrscheinlich auch nicht in Brasilien. Sobald sein Pläneschmieden gestaltreichere Züge annahm und ihm in der Phantasie ein aktives Handeln abverlangt wurde, befiel ihn ein Unbehagen. Bei dem Gedanken, María mit seinen Eltern in Paderborn bekannt zu machen, verließen ihn die schwungvollen Geister, die ihn beflügelten.

Wie er in Erfahrung brachte, lebte Marías Familie in Belém und eine Tante von ihr in Manaus. In Manaus würde sie mit ihm das Schiff verlassen. Er hatte sich vorgenommen, eine Woche in Manaus zu verbringen. Die am Rio Negro gelegene Stadt, von der aus Fitzcarraldo zu seinem irrwitzigen Schiffsabenteuer aufgebrochen war, zog ihn von allen Städten Brasiliens am meisten an. Wie es dort mit ihm und María weitergehen würde, stand in den Sternen. Die letzten Tage in der Hängematte verrannen in leiser Wehmut und mit leisen Befürchtungen.

Als sie den Amazonas verließen, um wenige Kilometer den Rio Negro aufwärts zu fahren, wurde es auf dem Schiff unruhig. Die Leute brachten ihre Habseligkeiten zusammen oder standen laut schwatzend an der Reling. Es war soweit. Seine Tasche war schnell gepackt.

Wie nah das Schöne am Schrecklichen siedelt, merkte er, als das Schiff in Manaus anlangte und er sich notgedrungen wieder auf zwei Beine gestellt sah. Die Stadt erbrach ihren Müll die Uferböschung hinab in den Fluß. Auf dem Müll kletterten überall Menschen herum. María hatte sich angeboten, ihn zu einem Hotel zu begleiten; er wollte sich in der Innenstadt, in der Nähe des Teatro Amazonas und des Palácio da Justiça, eines suchen. So leicht kam er aber nicht weg. Vom Kapitän wurde er schwungvoll verabschiedet. Sie verließen als letzte Passagiere das Schiff.

Was ihn am Hafen erwartete, schockierte ihn. Als sich das übliche Gewimmel ein wenig verzogen hatte, sah er Menschen herumhocken, auf Brettchen mit Rädern sitzen, auf Krücken stehen, mit entsetzlichen Krankheiten geschlagen, sie hatten Schwären und Beulen und verstümmelte Glieder, so grauenerregend, daß Richard die Augen von ihnen fortwenden mußte. Weißgott, er war inzwischen durch viele arme Länder gereist, war Zeuge geworden, wie an der Grenze bolivianische Landarbeiter von den Argentiniern auf rohe Weise, wie Vieh, mit Fußtritten traktiert und zu Desinfektionszwecken mit DDT besprüht, ja, regelrecht damit überschüttet wurden, er war stundenlang auf Lastwagen herumgefahren zusammen mit bolivianischen Marktfrauen, die so schwere Säcke dabeihatten, daß er sie selbst nicht heben konnte, sie aber schon, und er hatte eine alte Bettlerin sterben sehen, in der Avenida Monroe, in der er in Buenos Aires gewohnt hatte, aber das Elend, das ihm hier entgegentrat, war greller. María, die nicht verstand, warum er hilflos stehengeblieben war, zupfte ihn am Ärmel und führte ihn fort. In seiner Verwirrung hatte er den berühmten Mercado, einen Eisengerüstbau nach den Plänen von Gustave Eiffel, der als Markthalle diente, gar nicht wahrgenommen.

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