Peter Wawerzinek - Rabenliebe Страница 36

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Peter Wawerzinek - Rabenliebe

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Über fünfzig Jahre quälte sich Peter Wawerzinek mit der Frage, warum seine Mutter ihn als Waise in der DDR zurückgelassen hatte. Dann fand und besuchte er sie. Das Ergebnis ist ein literarischer Sprengsatz, wie ihn die deutsche Literatur noch nicht zu bieten hatte.Ihre Abwesenheit war das schwarze Loch, der alles verschlingende Negativpol in Peter Wawerzineks Leben. Wie hatte seine Mutter es ihm antun können, ihn als Kleinkind in der DDR zurückzulassen, als sie in den Westen floh? Der Junge, herumgereicht in verschiedenen Kinderheimen, blieb stumm bis weit ins vierte Jahr, mied Menschen, lauschte lieber den Vögeln, ahmte ihren Gesang nach, auf dem Rücken liegend, tschilpend und tschirpend. Die Köchin des Heims wollte ihn adoptieren, ihr Mann wollte das nicht. Eine Handwerkerfamilie nahm ihn auf, gab ihn aber wieder ans Heim zurück.Wo war Heimat? Wo seine Wurzeln? Wo gehörte er hin?Dass er auch eine Schwester hat, erfuhr er mit vierzehn. Im Heim hatte ihm niemand davon erzählt, auch später die ungeliebte Adoptionsmutter nicht. Als Grenz sol dat unternahm er einen Fluchtversuch Richtung Mutter in den Westen, kehrte aber, schon jenseits des Grenzzauns, auf halbem Weg wieder um. Wollte er sie, die ihn ausgestoßen und sich nie gemeldet hatte, wirk lich wiedersehen?Zeitlebens kämpfte Peter Wawerzinek mit seiner Mutterlosigkeit. Als er sie Jahre nach dem Mauerfall aufsuchte und mit ihr die acht Halbgeschwister, die alle in derselben Kleinstadt lebten, war das über die Jahrzehnte überlebens groß gewordene Mutterbild der Wirklichkeit nicht gewachsen. Es blieb bei der einzigen Begegnung. Aber sie löste — nach jahrelanger Veröffentlichungspause — einen Schreibschub bei Peter Wawerzinek aus, in dem er sich das Trauma aus dem Leib schrieb: Über Jahre hinweg arbeitete er wie besessen an Rabenliebe, übersetzte das lebenslange Gefühl von Verlassenheit, Verlorenheit und Muttersehnsucht in ein großes Stück Literatur, das in der deutschsprachigen Literatur seinesgleichen noch nicht hatte.

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Teil Zwei. Da bist Du ja

MUTTER, die; — , Mütter / Verkl.: Mütterchen, Mütterlein; / vgl. Mütterchen/Frau, die ein oder mehrere Kinder geboren hat, die Frau im Verhältnis zu ihrem Kind gesehen und bes. im Verhältnis des Kindes zu ihr: M. sein, werden; sie fühlt sich M. (fühlt, dass sie schwanger ist); sie ist M. geworden; die leibliche M. (Ggs. Stiefmutter); eine unverheiratete M.; eine gütige, liebevolle, nachsichtige, fürsorgliche, strenge M.; meine, unsere liebe, gute M.; Vater und M.; M. und Tochter; du wirst wie deine M. (ähnelst ihr); wie eine M. zu jmdm. sein; um jmdn. wie eine M. besorgt sein; umg. bes. berl. ich fühle mich wie bei Muttern (wie zu Hause); umg. sie ist die ganze M., ganz die M.; sie ist ihrer M. wie aus dem Gesicht geschnitten (ist ihr sehr ähnlich); die Aufgaben, alle Pflichten, Sorgen, Freuden einer M.; wir feiern heute Mutters Geburtstag; geh. wie geht es Ihrer Frau M.?; grüßen Sie die Frau M.!; sie fuhren im Abteil für M. und Kind, an Mutters Rockschößen hängen (nicht von ihrer Seite weichen, unselbstständig sein); einem Kind die M. ersetzen; an Mutters Stelle treten; Rel. kath. die M. Gotters (Jungfrau Maria); / bildl. / scherzh. M. Grün, Natur die grünende Natur: bei M. Grün, Natur übernachten, schlafen; / übertr. / seine älteste Schwester war ihm M.; sie war dem Fremden eine wahre M.; / sprichw. / Vorsicht ist die M. der Weisheit, salopp der Porzellankiste, dazu/in Verbindung mit Tätigkeiten, z.B./Kuppel-, Pflege-, Ziehmutter; / in Verbindung mit örtlichen Hinweisen, z.B./Haus-, Herbergs-, Landesmutter;/in Verbindung mit Tieren, z.B./Löwen-, Rabenmutter;/ferner in All-, Alter-, Ball-, Braut-, Gottes-, Groß-, Kindes-, Königin-, Perl-, Puppen-, Schwieger-, Stamm-, Stief-, Urgroß-, Vize-, Wehmutter; bemuttern, Mutter, die; — , -n Teil der Schraube, der das Gewinde drehbar umschließt: die M. (an einer Schraube) lösen, (fester) anziehen, anschrauben; die M. lockert sich, ist locker, lose, dazu Flügel-, Rad-, Schraubenmutter.

DIE ADRESSE DER MUTTER ist mir schon Jahre vor der Reise bekannt. Unter den Menschen, die mir begegnen, war eine Person, deren Interesse für mich weit über das normale Maß hinausging. Ich habe alle Informationen zur Mutter per Fax aus der Hand eines Pressesprechers zugeschickt bekommen, will sagen, der Pressesprecher hat für mich den nationalen Hauptcomputer angezapft, ich saß um neun Uhr am Faxgerät des Freundes, und die Angaben zur Person bildeten mehrere Seiten. Wohnort, Straßenname, Hausnummer, Telefon. Die Mitteilung sogar, dass die Mutter Schulden mache, ihr mobiles Telefon nicht immer pünktlich bezahle, nur ein mobiles Netz nutze. Ich hatte gegenüber dem Pressesprecher in etwa ausgeführt, dass eine Mutter, die Sohn und Tochter in einem Land zurücklässt und über die Grenze des Landes verduftet, gläubig der Kirche beitritt, Kerzen entzündet und fromme Gesänge singt, weil sie sich ihrer Last zu entledigen sucht. Die Pastorin unter den drei Seelsorgern im Mutterort gefiel mir auf dem ersten Blick. Ich nahm zu ihr Kontakt auf. Ich schickte ihr das Buch, in dem ich meine Kindheit, Jugend beschreibe. Sie solle selber entscheiden, ob und wie sie das Buch der Mutter zuspiele, wenn denn die Mutter sich in ihrem Kirchkreis befände. Am Telefon sagt sie, sie kenne meine Mutter. Sie habe das Buch gerne gelesen, sagt sie am Telefon. Sie möge Literatur. Sie hätte auch Literaturwissenschaft studieren können, aber da sei schlechter heranzukommen gewesen zu ihrer Zeit. Sie möge meine Poesie, die hintersinnige Sprache und sei überrascht, wie viel neben dem Text mitgeteilt werde. Ich solle es ihr nicht übel nehmen, aber für ein Kind aus dem Heim, sagt sie und hält dann inne. Sie rate ab und könne sich nicht vorstellen, dass diese Frau (sie korrigiert sich), Ihre Frau Mutter, also das Buch lesen werde. Sie habe, es gibt keine Zufälle, vor Kurzem an ihrem Bett gestanden, im Krankenhaus, die Mutter hätte etwas mit dem Herzen gehabt, sie müsse mir reinen Wein einschenken, selbst wenn sie sich irre, komme sie nicht umhin, mir klar ins Gesicht zu sagen, dass ich mir, nun ja, wie sagt man, ich nicht zu viel erwarten solle, ich wisse schon, wie sie es meine. Schließlich könne sie durch die Lektüre einschätzen, was für ein Mensch ich sei. Das solle nicht heißen, dass sie mich abhalten wolle, aber ich solle die Erwartungen herunterschrauben. Ich weiß nicht, ob ich ihr dankbar war. Ich weiß nicht, ob es an der Warnung gelegen hat, dass ich viele Jahre gezögert habe, die Mutter zu besuchen. Der Pressesprecher drückte auch Vorsicht aus. Es müsse alles unter uns bleiben, schließlich wäre so ein Unterfangen heikel, wenn nicht gar illegal; man könne nie wissen, schließlich sei der zentrale Personencomputer des Bundestages benutzt worden. Ein rechtlich schwieriger Sachverhalt, wenn es zur Sprache käme, auch wenn es in ihren Kreisen hieße, in einigen Jahren würden alle Bürger Zugriff haben können, sei dem nicht so, die allgemeine Weltlage, der Terrorismus, lasse eher den Schluss zu, dass die Geheimhaltung aufrechterhalten würde, man nicht Hinz und Kunz im Staate zentrale Informationen zugänglich machen werde. Er habe nur behilflich sein wollen. So weit, so lange her und viel länger her die Umstände, der Zeitpunkt, als wir uns begegnet sind.

Wir halten uns in der Wohnung des Pressesprechers auf. Der Pressesprecher stellt seinem Minister die eigene Wohnung gerne zur Verfügung, da der Minister dieses Mal Schriftsteller empfängt. Die zurzeit Interessantesten will er um sich haben, sie kennenlernen, sich mit ihnen austauschen. In der Küche waltet die Frau des Pressesprechers. Es wird (wie putzig ausgedacht und die Riege klammheimlich höhnend) Seezunge zum Treffen mit den Dichtern serviert. Ein Plattfisch mit ovalem, auf beiden Seiten stark abgeflachtem Körper.

Ein Fisch mit einem auffallend hellen Farbton. Im Durchschnitt dreißig bis vierzig Zentimeter lang. Interessant an der Seezunge wäre da, dass sie über zwanzig Jahre alt werden kann, wenn sie nicht gefangen wird, plaudert allwissend der Schriftsteller unter den dreizehn am Tisch befindlichen, den ich den fettesten von allen nennen möchte. Er ist dreist und dick. Er schreibt Krimis. Er schleimt sich in die Literatur nicht ein, er platzt da hinein wie Dick und Doof. Es redet zum Anfang nur er. Die anderen sitzen still und um Haltung bemüht an der festlichen Tafel. Dreizehn Stühle. Dreizehn Teller. Dreizehn Gabeln. Dreizehn Fischmesser. Dreizehn Servietten. Dreimal dreizehn Gläser für die dreimal dreizehn unterschiedlichen Getränke; Wasser, Wein, Sekt nach Belieben für die dreizehn Buchautoren. Dreizehnmal dann die Frage nach Wasser, Saft oder Wein. Dreizehnmal je die Antwort zum Gewünschten. Das braucht seine Zeit. Die nutzt der Dicke redlich, indem er pausenlos redet. Dreizehn kleine Tischdeckchen in Beige zähle ich. Dreizehn Kaffeetassen. Dreizehnmal schneeweiß gehalten. Dreizehn ist meine Zahl. Und solange der Fettwanst plappert, kommen mir Ereignisse mit der Zahl Dreizehn in den Sinn. Dreizehnmal gewinnt zum Beispiel Pete Sampras Grand-Slam-Turniere. Die Zahl Dreizehn steht in der Schweiz für den Bund der dreizehn alten Orte, dem Dreizehnerbund. Bach hat seiner Frau Anna Magdalena dreizehn Kinder geschenkt, will sagen, sie ihm, er hat sie gezeugt, wenn da nicht eins oder mehrere adoptiert worden sind. Das müsste ich nachlesen. Das weiß ich so aus dem Kopf nicht mit Sicherheit zu sagen. Wäre schön, von Bach zu wissen, dass er Kinder adoptiert hat, sie durch ihn an Kindes statt aus einem Kinderheim herausgeholt worden sind. Dreizehn Spiegel meiner Seele heißt ein Werk von Reinhold Messner. Der Hauer Alexej Grigorjewitsch Stachanow überbietet in seiner Kohlengrube im Donezbecken die gültige Arbeitsnorm um das Dreizehnfache. Desmoulins und Danton werden, ohne von einem Richter angehört worden zu sein, mit dreizehn weiteren Revolutionären auf der Guillotine hingerichtet. Das Dreizehnstreifenziesel trägt sieben gelbgraue Streifen auf dem Rücken, die mit sechs aus Tupfern bestehenden Streifen abwechseln; die Unterseite ist hellbraun gefärbt.

Das vierzehnte Gedeck gehört dem Minister. Sein Pressesprecher bezieht abseits der Tischstirnseite an einem Extratisch auf einem Beobachtungsstuhl Stellung. Der Herr Minister sitzt zentral und in der Mitte des gedeckten Tisches. Er sitzt dem dicken Schreiberling gegenüber. Dem ist das mehr als recht. Er kann ihn direkt ansprechen und volltexten, ohne dass ihm jemand dazwischengerät. Der Minister sitzt mit durchgedrücktem Rückgrat, wirkt leicht aufgeräumt, siegessicher bis erwartungsvoll.

Man habe auch von drei Kilogramm schweren Seezungen vernommen, redet der dicke Schriftsteller in lautem Vortragston auf den Minister ein. Was er zu sagen hat, sollen alle am Tisch vernehmen. Er beugt den Oberkörper zum Schwafeln vor, soweit es der Wanst zulässt, auf den Minister zu. Er wedelt zu seinen Worten mit einem Stift, just zu diesem Zwecke aus der Jackentasche hervorgezogen. Das hat etwas Degenfechterisches. Man denkt an d'Artagnan und seine drei Freunde Athos, Porthos und Aramis, den dicksten von allen vieren. Der Minister zuckt nicht. Der Minister sagt und verbietet nichts. Der Minister ist der Verteidigungsminister seines Landes. Da wird sich nicht vor einem Stift geduckt. Die anderen Schriftsteller im Raum sind furchtsam und still am Tisch. Der Pressesprecher nestelt auffällig lange an seinem Hosenstoff Höhe Knie herum, wo tatsächlich ein Fussel Platz gefunden hat, den man nehmen könnte und von sich lösen. Aber er befreit sich nicht von ihm, streicht ihn glatt, nimmt ihn ab, setzt ihn woandershin, reibt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger zu einem Kügelchen, schnippt es fort, derweil die Vorspeise aufgetragen wird. Der plappernde Dichter stopft wie nebenher die Vorspeise in das plappernde Maul. Er sieht die Frau des Pressesprechers nicht. Er sieht die Vorspeise nicht einmal an. Er führt, ohne zu gucken, teilnahmslos und mechanisch den Löffel zu Munde. Das Kinn stupst einmal in die feine Soße auf dem Löffel, Suppe kleckert in die Schale zurück, kleine Aufprallspritzer beflecken die Serviette. Der Dicke rasiert sich die Haare ab. Hinweise darauf, dass er Haarwuchsfehler kaschieren will, finden sich nicht. Der glänzende Kopf des Dicken legt sich im Nacken in Falten, wobei Wulst das passendere Wort ist. Der Dichterkörper steckt prall in seinem Anzug, der wie ein Kondom wirkt. Das Jackett ist über den Leib kujoniert und wird demnächst aus allen Nähten platzen. Mir fällt ein Zitat ein, jüngst aufgeschnappt: Das ist der vermaledeite Grabbe, oder wie man ihn eigentlich nennen sollte, die zwergigte Krabbe, der Verfasser des Stücks. Er ist so dumm wien Kuhfuß, schimpft auf alle Schriftsteller und taugt selber nichts, hat verrenkte Beine, schielende Augen und ein fades Affengesicht.

ICH ESSE VON meinem Tellerchen. Ich sage höfliche Worte zur Frau Köchin, wie die Adoptionsmutter es mir beigebracht hat. Das gute Benehmen von A bis Z. All die Dichter am Tische verunsichern mich. Ich weiß nicht, was ich mit ihnen sollen will und wollen soll, fühle mich so fehl geladen, möchte nicht den Fettwanst, nicht den Minister im Raum als Kumpels haben. Schriftsteller zu einem Seezungenessen laden, denke ich, ist mehr als ein gediegener Witz. Menschen des Wortes Seezunge zu verabreichen, hat etwas. Ich traue es dem Pressemann zu. Der Minister scheint mir zu solch hintersinnigen Scherzen zu dröge. Ob der Herr Minister denn wüsste, dass bei der Seezunge in einer frühen Entwicklungsphase das linke Auge auf die rechte Seite des Kopfes wandere, pustet der dicke Dichter den Landesverteidiger an, gewährt ihm keine Denkpause, gackert und gluckst erfreut: Die Augen wandern aus. Die Augen hauen ab. Die Augen wechseln die Fronten. Die Augen der Seezunge sind Deserteure, biologische Überläufer, erfreut sich der dicke Dichter, dass er sich an einem Seezungenhappen aus lauter Heiterkeit verschluckt, zu prusten beginnt, Erstickungsanfälle hat, auch nicht mehr prustet, ehe er sich durch ein Schnauben und tiefes Luft-nach-innen-Ziehen ins Leben zurückmeldet, rot anläuft, dann explodiert, dass Seezungenfetzen und Speichelbatzen in Richtung Minister fliegen. Fällt wie der Sack nach hinten, wo er für bange Momente stumm verharrt und offenen Mundes daliegt. Eine angenehme Ruhe entsteht, ist aber nicht von Dauer. Ein hagerer Buchautor mit dem Aussehen eines freudlosen Chemielehrers nutzt die Redepause dahin gehend, das Wort an sich zu reißen; glattzüngiger als sein Vorgänger, im Tonfall eines Oberstudierten, gibt er sich besser unterrichtet als jener andere, näselt mit unverkennbarer Seitenhiebfreude gegen den angeschlagenen dicken Dichterkollegen: Das Maul mit seinen wenigen, aber teuflisch scharfen Zähnen befinde sich auf der augenlosen, man könne ruhig sagen, blinden Seezungenseite, was er als einen überaus wichtigen, für jedwede Vertreter der Schriftstellerei und Dichtung bedenkenswerten Aspekt erachte, im Wissen darüber, wie sich die Seezunge dem jeweiligen Untergrund geschickt anzupassen verstünde, was in der Kunst von Übel sei. Spricht fertig aus, schaut in die Runde, genießt den Nachhall seiner Worte. Die rumänisch-deutsche Lyrikerin neben mir stöhnt etwas Verbales in sich hinein, erklärt sich mir nicht, ringt nach Erklärung, will offensichtlich etwas zu mir sagen, der ich sie ansehe und nicke; kriegt aber nichts als ein mehrfach wiederholtes Ausatmen zustande. Meiner Meinung nach ist sie für die draußen vorherrschende kühle Jahreszeit etwas zu leicht bekleidet. Sie schaut mich hilfesuchend an, wohin mit dem Besteck, wo hinein die Gabel stechen? Ich mache es ihr vor. Sie tut mir nach, behält aber immer ihren fragenden Gesichtsausdruck bei, bis sie und ich im Gleichtakt aufgegessen und mit der Serviette die Lippen saubergewischt haben, der Pressesprecher sich erhebt, einen silbernen Füllfederhalter gegen das Weinglas in seiner Hand klopft, ein paar Worte zur systematischen Einordnung der Seezunge zu der Familie Soleidae verliert, beheimatet in den flachen Küstengewässern der südlichen Nordsee, wo sie sich sammelten und laichten, dort also, woher er selber gebürtig stamme; und erteilt sodann dem Minister das Wort, der die Gelegenheit ergreift und loslegt, am Ende die Redezeit überzieht, als übe er für den Bundestag. Von den Anwesenden gelingt es dem Pressesprecher am besten, volle Aufmerksamkeit zu heucheln. Der dicke wie der hagere Dichter stehen ihm dabei kaum nach. Den einen Arm auf der Stuhllehne abgelegt, das Kinn auf den Handrücken des aufgestützten anderen Arms getan, die Körperhaltung somit passend zum untertänigen Ausdruck von Vigilanz mit einem leichten Lächeln im Gesicht, lauscht der Pressesprecher, als habe er Freude an den alle einlullenden Worten des Ministers. Ich bin unter Algen geraten, lauter sich wiegende, immergrüne Leiber am großen Tisch, von dem weg mich die Frau des Pressesprechers zu sich in die Küche lockt, als ich von der Toilette komme.

Wenn der Minister erst einmal am Reden ist, haucht sie und verdreht die Augen. Wie angenehm verunsichert ich wirke, wenn nicht gar genervt, flüstert sie vertraulich, sagt, dass sie den rachitischen Chemielehrertyp von Schriftsteller so wenig möge wie ich den aufgeblasenen kahlköpfigen Luftblasenballon. Ich solle mich zu ihr setzen; in die Ecke, an den kleinen Tisch; von der Nachspeise kosten, der es an etwas fehle; sie wisse nicht zu sagen, woran, sagt, das Rezept stamme aus Cambridgeshire, gibt kund, Cambridgeshire wäre für seine Aale einstmals bekannt gewesen; ein Blauschimmelkäse stamme von dort, das Dorf dazu heiße Stilton, wenn sie sich den Namen richtig gemerkt habe. Eine weitere Spezialität der Gegend sei Figdget Pie, eine Art Wackelauflauf. Speck, Zwiebeln, Äpfel, Kartoffeln, schwarzer Pfeffer, Apfel im Teigmantel, ähnlich unserem nordischen Himmel und Hölle. Äpfel, sagt sie so freundlich gestimmt, die Kartoffeln des Himmels.

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